Landläufig ist bekannt, dass Welpen sozialisiert werden. Sie gehen dafür in Welpenschulen und Spielstunden, arbeiten to-do-Listen ab, werden mit klaren Regeln erzogen und bekommen von Beginn an das kleine Einmaleins unserer Gesellschaft beigebracht.
Wie kommt es nun, dass dennoch viele Hunde unverträglich mit anderen Hunden sind, am Gartenzaun bellen, Besuch nicht mögen und im Restaurant nicht regungslos unterm Tisch liegen, während wir einen schönen Abend mit Freunden verbringen wollen? Jetzt kann man sagen, das sei rassebedingt oder das Timing des Menschen beim Training sei schlecht gewesen, der Hund habe es nicht richtig gelernt. Selten aber höre ich: Der wurde überfordert, musste zu früh zu viel, hatte zu wenig Ruhe, zu wenig „Kindheit“…
Wir Menschen haben sehr hohe Ansprüche an unsere Hunde, die Gesellschaft oft noch höhere und sie sind deutlich gestiegen in der Vergangenheit. Meine Oma wäre nie auf die Idee gekommen, dass Harras von nebenan still sein muss, wenn sie an Nachbars Grundstück vorbei geht. Der sollte schließlich aufpassen. Bei ihr wäre auch Verwirrung entstanden, wenn Rottweiler Anja auf meinem Kindergeburtstag mit uns Kindern hätte spielen sollen. Aber heute müssen Hunde das und noch viel mehr können. Tja und da geht dann das Engagement des Menschen mit ihm durch, muss ja schließlich alles klappen, wir sind ja keine Versager. Der Druck ist wirklich groß, stelle ich immer wieder fest.
Ich habe mich gegen den Druck, gegen die Erwartungen anderer entschieden. Ganz bewusst. Mein Welpe war nicht in der Welpenschule, wurde nicht durch die Fußgängerzone geschleift und hatte nicht einmal direkte Hundekontakte zu Beginn. Er wurde nicht streng trainiert und kennt noch immer nicht das Signal „Sitz“. Der setzt sich nämlich, wenn es zur Situation passt, tatsächlich ganz von allein hin. So wie ich eben auch.
Ja, aber wie geht das dann? Wenn der „nix“ kennenlernt, dann kann der das doch alles nicht lernen. Lernt er wirklich nicht?
Nehmen wir mal das Thema Hundebegegnung. Also erstens hat der Welpe eine Ursprungsfamilie, zweitens erleben Hunde ihre Umwelt anders als wir. Ihre Nase spielt nämlich eine viel größere Rolle als unsere. Mein Jonne hat Hunde intensiv beobachtet, nachgedacht, sortiert und zwar mit Abstand und in Ruhe. Im Anschluss sind wir deren Spuren abgegangen und er hat sie gerochen, sortiert und wieder nachgedacht. Hunde sind sehr gute Beobachter und so hat er völlig unaufgeregt gelernt wer hier wohnt, wer wie tickt und hat mit diesem Wissen die ersten richtigen Kontakte gut gemeistert. Er hat selbst entschieden, dass er soweit ist und ich habe darauf geachtet, dass er nicht überfordert wird, nicht versehentlich verletzt, habe ihn Erfahrungen machen lassen, aber eben vorwiegend gute. Diese waren wohl dosiert und die Zusammenkunft möglichst beendet bevor es kippte oder ungut wurde. Und jetzt mit 16 Monaten ist er toll mit anderen Hunden, kann sich meist raus nehmen, wenn es ungut wird und wenn er es noch nicht schafft, dann helfe ich ihm. Genau so sind wir auch mit Menschenbegegnungen umgegangen, obwohl es da etwas komplizierter ist. Die gehen nämlich bei Welpen gern freudig quietschend schnurstraks… Aber das ist ein anderes Thema.
Hört euren Hunden zu, steht ihnen zur Seite, überfordert sie nicht, macht lieber weniger, dann können sie nachhaltig und selbstwirksam lernen, in ihrem eigenen Tempo. Es braucht Einfühlungsvermögen und gesunden Menschenverstand, um Hunde zu begleiten und sie dabei zu unterstützen selbstsichere erwachsene Hunde zu werden. So wenig braucht’s und doch so viel.
Woher habe ich meine Weisheiten? Von einer wundervollen Frau, die ein ebenso wundervolles Welpenbuch geschrieben hat: Ulli Reichmann, Auf kleinen dicken Pfoten
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